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Natur erkunden

Ein reich beschenkter Morgen oder die unendliche Geschichte

Ich wache auf, als es gerade hell wird, der fast volle Mond noch hoch am klaren Himmel steht. Kühle, frische Luft zieht beim offenen Fenster herein und lockt mich, es zieht mich hinaus. Eine Krähe ruft. Ich stehe auf, packe rasch Fernglas, Sitzunterlage, Schreibzeug und eine Thermoskanne Tee ein und mache mich auf den Weg zum Fluss. Der Graureiher müsste schon bei der Mündung sein.

Selbstverständlich steht er schon da als ich komme, geduldig, präzise lauernd. Ich beobachte ihn durchs Fernglas. Wunderschön, wie er da steht. Es dauert nur wenige Augenblicke, als sich im unteren Bildausschnitt etwas Großes, Bräunliches im Wasser bewegt. Tatsächlich – es schwimmt ein Biber ins Bild. Mein Blick bleibt an ihm hängen, unglaublich wie seine Sinnesorgane am Kopf in einer geraden Linie angeordnet sind, perfekte Anpassung ans Schwimmen. Er schwimmt stromaufwärts ganz nah am gegenüber liegenden Ufer entlang. Ab und zu taucht er ab, ich hoffe seinen Schwanz zu sehen, aber der wird ja unter Wasser zum Steuern gebraucht. Er ist jetzt schon so weit weg, dass ich ihn kaum noch sehen kann.

Schnell beschließe ich, am hiesigen Ufer ein paar Minuten flussaufwärts zu gehen, parallel mit ihm mit zu gehen. So müsste ich ihn bald einholen können. Hier kommt der erste Pfad, wo ich zum Ufer hinunter abzweigen kann. Ich suche das gegenüber liegende Ufer mit dem Fernglas ab, kann den Biber aber nicht mehr entdecken und auch flussaufwärts sehe ich ihn nicht schwimmen. Möglich, dass er hier seine Wohnröhre im sandig-steinigen Ufer hat. Als ich das Ufer noch einmal absuche, entdecke ich am Totholz sitzend den Buntesten aller Lauerjäger – den Eisvogel. Kaum zu glauben, wenige Minuten von meinem Schlafzimmer entfernt, werde ich an diesem Morgen hier so reich beschenkt. „Entdecke die Welt von Biber und Eisvogel“ schießt es mir durch den Kopf. Der Titel unseres Schulworkshops, der in der Salzachau stattfindet, allerdings 20 km von hier entfernt, das entlockt mir ein Schmunzeln. Der Eisvogel fliegt weg und stößt dabei die typischen, hohen Rufe aus.

Ich bin überwältigt und denke, wenn hier so schön das Eine zum Anderen führt, wird das Naturerlebnis ja wohl noch weitergehen und suche mir einen Sitzplatz zum Schreiben und Tee trinken. Als ich gerade den Graureiher im Text beschreibe, höre ich seine Schreie und weiß, dass er gleich vorbei fliegen wird. Ich nehme das Fernglas in die Hand und im nächsten Augenblick gleitet er Bild-füllend etwa 15 Meter vor mir knapp oberhalb des Wassers nach Süden.

In meinem Kopf formen sich Ideen, solche morgendlichen Naturbeobachtungen als Exkursionen für Interessierte anzubieten. Dabei kommt man zur Ruhe, aber es ist immer was los. Seit heute weiß ich ja wieder ein Stückchen mehr, wo der Bär steppt. Und es hört nie auf, das Buch der Natur ist wie eine unendliche Geschichte, der Text würde naturgemäß immer länger werden.

Denn während des Schreibens passiert wieder viel. Der Buntspecht ruft, am anderen Ufer ist inzwischen ein Pärchen Mandarinenten gelandet und dann raschelt es über meinem Kopf in den Bäumen. Ein Eichhörnchen hüpft seines Weges. Es ist beschäftigt. Geschäftig quirlt es herum und bemerkt mich nicht. Erst das Zweite, das ein paar Meter dahinter folgt, schlägt Alarm. Der Schwanz beginnt von einer Seite zur anderen zu zucken, erst dann setzt im passenden Rhythmus das aufgeregte Warnsignal, ein Klopfen, Klicken, Schnalzen ein. Das Erste entdeckt mich nun auch und stimmt aufgebracht in die Konversation ein. Unerhört, wie dieses zweibeinige Tier da unten sitzt und seelenruhig schreibt, Tee trinkt und herauf guckt!

Nun ist der Mond hinter den Bäumen verschwunden und die Sonne da.