Wie neugeboren
Nach dem Regen erinnert der Duft der Luft an einer bestimmten Stelle am Salzachufer und in der Au häufig an Korianderkraut. Die Luft ist frisch, feucht, rein und klar. Nach dem Wolkenbruch, der Entladung, ist die Sonne wieder durch gekommen und taucht den Abend in ein feines, goldenes Licht. Der Kontrast zu den grauen, schweren Restwolken am Horizont ist beeindruckend. Im Auwald tropft alles, das Grün ist gewaschen.
Ich setze mich in eine vermutlich von Kindern gebaute Unterstandshütte aus Ästen und genieße die Tropfgeräusche, sauge das Grün mit den Augen und die frisch gewaschene Luft mit der Lunge ein. Wie schön die Stille ist, ich kann mir vorstellen, wie es an einem spärlich besiedelten Ort ist, oder in einer weniger bevölkerten Zeit gewesen sein könnte.
Eine Reihe solcher Totholz-Hütten befindet sich hier in der Au. Tipi-förmig oder viereckig mit richtigen Dächern und Seitenwänden. Riesige Unterstände, welche um umgestürzte, mehrstämmige Bäume gebaut wurden. Mit Geduld, Sorgfalt, Begeisterung, in stundenlanger Arbeit. Während der Pandemie sind die Bauwerke, Skulpturen und Hütten aus Tot- und Schwemmholz mehr geworden, die Menschen hatten Zeit hinaus zu gehen.
Der Bewegungsdrang treibt mich weiter. Am Boden entdecke ich wabenartige Muster aus angeschwemmtem Feinmaterial – dieses hat sich an den Rändern von kurzzeitig existierenden Regenwasserpfützen gesammelt. Inzwischen gehören die Lacken wieder der Vergangenheit an, das Wasser ist abgeflossen, die Aue hat ihre Funktion als Wasserspeicher erfüllt und das Nass aufgesaugt. Erde und abgestorbenes Pflanzenmaterial haben sich abgesetzt, der Boden ist wieder sichtbar. Gibt es schon frische Spuren, oder bin ich die Erste? Ich drehe mich um, um zu sehen, welche Spuren ich hinterlasse.
Den Pfad weiter pirschend genieße ich die Wildheit, die Totholz-Arrengements, die umgestürzten Bäume, welche bereits wieder überwuchert werden. Dies hier dürfte eine frisch umgestürzte Esche sein. War sie letztes Mal schon da? Der Wurzelteller und die ihn umgebende Erde lassen vermuten, dass sie vor kurzem noch mit dem Boden verbunden waren. Die darauf wachsenden Pflanzen sind noch in ihrer einst senkrechten Position, nun also fast waagrecht – es kann nicht lange her sein. Bei einem älteren Exemplar zeigen die Keimlinge des Bergahorns und die jungen Linden bereits Richtung Himmel, es treiben außerdem neue, senkrechte Äste aus dem liegenden Stamm aus und verraten, dass der Krach schon eine Zeit lang her ist.
Drüber geklettert, sich umgedreht, genossen, dass es so etwas Wildes in der Stadt gibt. Warum war ich nochmal so lange nicht hier? Wie konnte ich nur… der Wald scheint wie neugeboren zu sein, so fühle ich mich auch.