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Gewusel, Ausschüttungen, Entfaltungen

Vor kurzem hat eine besondere Zeit begonnen. Eine unendliche Bandbreite von Grüntönen quillt aus ehemaligen Brauntönen hervor. Äste, Zweige und der Erdboden schütten alles an Grün aus, was ihnen in den Sinn kommt. Eine Vielfalt an unbeschreiblichen Geschmäckern tut sich auf. Unendlich viele kleine Gebilde überziehen Laubblätter ganzer Büsche oder Bäume und Millionen von Sternen bedecken den Auwaldboden. Ein Streifzug durch die Au im Mai zeugt von einem riesigen Feuerwerk, bei dem alle mitmachen.

Aus den Knospen der holzigen Gewächse entfalten sich zarte Blättchen. Sie wurden bereits im Herbst unter den Knsopenschuppen angelegt, welche sie vor Frösten schützen. Zusätzlich schützen eingelagerte Salze, Säuren oder Zucker vor tiefen Temperaturen. Beim Kauen von Lindenknospen entfaltet sich nicht nur ein wunderbar nussiger Geschmack sondern auch geschmeidige Schleimstoffe. Die jungen Blätter sind ein Genuss – als Salat mit gutem Olivenöl und Balsamico-Essig. Hingegen schmecken die jungen hellgrünen, flaumig behaarten Buchenblätter angenehm säuerlich und erinnern an den Geschmack des Sauerklees.

Nun ist es aber schon bald zu spät zum Naschen der Baumblätter. Die Explosion hat begonnen. Ähnlich wie die tropische Laubschütte, bei der Bäume zum Schutz vor Fressfeinden ihre neuen Blätter nicht kontinuierlich nachbilden, sondern Unmengen frischer Blätter innerhalb einer kurzen Zeitspanne regelrecht ausschütten, schütten gerade Linde, Ahorn, Buche, Hasel und alle anderen ihre Blätterdächer in einem grünen Farbenreichtum aus. Eine Fülle an Blattformen und Merkmalen wie Behaarung oder Blattränder kommen hinzu. Meine Aufmerksamkeit gilt dem samtigen Geräusch des Ulmenblattes, wenn man mit dem Finger über seine haarige Oberfläche fährt oder den Blattstielen der Haselblätter mit den rötlichen Drüsenhaaren und ihren kugeligen Köpfchen. Die Lindenherzen sind anfangs weich-ledrig und vollkommen glatt, die Kirschen weisen die beiden typischen roten Saftmale am Blattgrund auf, welche von den Ameisen zum Nektar Melken besucht werden.

Viele Sträucher und Bäume sind von winzigen Gebilden übersät: kleine Türmchen, Kügelchen oder Warzen, meist grün wie das Blatt selbst oder rötlich, später zum Teil bizarre Formen bildend. Was spielt sich hier ab? Die Gallwespen waren am Werk. Mit ihrem Legebohrer haben sie ihre Eier in das Blatt abgelegt und dadurch die Pflanze selbst zur Gewebewucherung angeregt. Diese bildet nun eine Kinderstube für die kleinen Larven, die bald aus dem Ei schlüpfen und bis zur Verpuppung in der guten Stube leben. Danach beißen die adulten Tiere ein Loch in die Galle und schlüpfen. Meist sind die Gallwespen eng an eine einzige Pflanzenart oder -gattung gebunden. Anhand der Gallenform und der Wirtspflanze ist die Gallwespenart eindeutig bestimmbar.

Ein Stockwerk tiefer in der Krautschicht findet ein Wandel statt. Blütenmeere entstehen, welche alle paar Wochen ihre Farben wechseln. Beginnend als blau-violette Wellenlandschaften aus Leberblümchen und Blausternen, übergehend in gelbe und weiße Wogen von Windröschen, derzeit gipfelnd in den weißen Landschaften der Bärlauchblüte. Millionen von Sternen bedecken den Auwaldboden.

Dies lockt wiederum unzählige Honigbienen und Wildbestäuber an. Manchmal summt der gesamte Wald – wie im Falle der Wollschweber-Symphonie. Die Bienen und Schwebfliegen wuseln über die Bärlauchblüten und Goldnesseln. Wenn die Dunkle Erdhummel als dicker Brummer schwerfällig von Pflanze zu Pflanze unterwegs ist, stürzt sie hie und da in die Tiefen zwischen den Blättern ab und es bleibt nur eine Pollen-Staubwolke zurück. Das Brummen verstummt, bis sie wieder mühsam nach oben geklettert kommt und sich erneut erhebt.

Ganz oben ertönen die Vogelstimmen und tragen ihrerseits zu diesem Feuerwerk bei.